Die Zusammenarbeit von Kunst und Naturwissenschaften erfährt seit einigen Jahren eine Renaissance. Hierin liegt die Hoffnung auf einen neuen Blick auf die Welt, der nicht nur zur Veranschaulichung komplexer Inhalte beiträgt, sondern auch Lösungspotentiale für globale Herausforderungen offenlegt.
An vorderster Stelle steht hier die BioArt – eine künstlerische Praxis, die mit lebenden Organismen arbeitet und die Natur von Leben erforscht. Die künstlerische Produktion findet nicht mehr nur im Atelier, sondern auch im Labor statt. In diesem Kontext setzten sich seit dem späten 20. Jahrhundert Künstler*innen intensiv mit Genetik, Robotik, Molekular- und synthetischer Biologie auseinander und entwickelten in gemeinsamer Arbeit mit Wissenschaftlern künstlerische Projekte.
Zu den international renommiertesten Vertreter/innen dieser Strömung gehören Anna Dumitriu und Alex May. Die Ausstellung im Kunsthaus Wiesbaden zeigt drei Werkgruppen, in denen in jeweils unterschiedlichen Problemfeldern die Genschere CRISPR/Cas – ein molekularbiologisches Verfahren, das die DNA gezielt verändert – zum Einsatz kommt. Die Arbeiten entstanden jeweils im Rahmen von Forschungsprojekten, die sich mit Lösungen für globale Probleme wie CO2-Reduktion, Antibiotikaresistenzen und Ernährungssicherheit auseinandersetzen.
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Mit der CRISPR/Cas-Methode widmet sich die Ausstellung einem hochaktuellen Thema – erst 2020 ist den Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna hierfür der Nobelpreis für Chemie verliehen worden. In ihren Arbeiten adressieren Dumitriu und May grundlegende Fragen, die der Einsatz der Gentechnologie aufwirft: Wo ist die Schnittstelle zwischen „natürlich“ und „künstlich“? Wo und wann darf der Mensch verändernd eingreifen und welche Werte und Grenzen liegen dem zugrunde?
Charakteristisch für die künstlerische Strategie von Dumitriu und May ist die Anbindung aktueller Wissenschaftsthemen an historische Entwicklungen. Die künstlerische Umsetzung liefert einen anschaulichen Zugang zu den sonst eher schwer zugänglichen Forschungsinhalten. Dabei lenkt sie den Blick auf die Rolle nicht-menschlichen Akteure wie Mikroorganismen oder Pflanzen und der Implikationen einer ästhetischen Auseinandersetzung mit ihnen.
Die Exponate sind in einen weit gefassten informativen Rahmen gestellt. Seine Bedeutung für die Werke ist von der Idee der Wunderkammer inspiriert. Bereits in der Vormoderne vereinten Wunderkammern Objekte aus Natur, Kunst und Wissenschaft, um zuvor unbeachtete Beziehungen aufzudecken und neue Assoziationen aufzurufen. Damals wie heute kann die Wunderkammer als Idee für einen Ort des Austauschs, der Vernetzung und des gedanklichen Brückenschlags verstanden werden.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Viola Hildebrand-Schat und Heike Sütter. Gemeinsam mit Studierenden der Biologie, Kunstgeschichte, Philosophie und Curatorial Studies haben sie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Rahmen eines interdisziplinären Seminars den begleitenden Kontext, das Rahmenprogramm und digitale Vermittlungsformate entwickelt.
Für die großzügige Unterstützung danken wir
Stadt Wiesbaden, Kulturfonds Frankfurt RheinMain, NASPA Kulturstiftung, Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Unser Dank gilt weiterhin den Künstler/innen und ihren Partner/innen bei den jeweiligen Forschungsprojekten. Besonders danken wir Prof. Dr. Diethard Mattanovich (Institut für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien), Prof. Dr. Eckhard Boles (Institut für Molekulare Biowissenschaften, Goethe Universität Frankfurt am Main), Sonja Schachinger sowie dem Frankfurter Verein für interdisziplinären Wissenstransfer – Xplor e.V.
Foto: Anna Dumitriu und Alex May
Begleitfilme:
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Fermenting Futures, Ars Electronica 2020, 9:04
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Hefe - eine winzig große Geschichte, 2020, 6:30
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Die Genschere im Laboreinsatz, 2022, 21:00
Fermenting Futures
Anna Dumitriu und Alex May, seit 2020
Fermenting Futures untersucht die Bedeutung von Hefe aus kultureller, wissenschaftlicher, ethischer und ästhetischer Perspektive.
Die Fähigkeit der Hefe, Alkohol zu vergären und Brotteig aufgehen zu lassen, hat seit der Antike eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation gespielt. Nun sind wir aufgefordert, darüber nachzudenken, wie die Biotechnologie der Hefe helfen könnte, globale Umweltprobleme wie den Klimawandel und die Plastikvermüllung zukünftig zu bewältigen.
Die in der Ausstellung gezeigten Skulpturen, Installationen und Textilarbeiten thematisieren die Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Hefe und Kultur über Jahrtausende hinweg und richten dabei den Blick auf neue Wege in der synthetischen Biologie.
Ausführliche Informationen zur Werkgruppe Fermenting Futures.
Fermenting Futures entstand in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Diethard Mattanovich, Prof. Dr. Michael Sauer, Dr. Özge Ata und Dr. Martin Altvater am Institut für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien im Rahmen eines strategischen COMET-Projektes innerhalb des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib). Sonja Schachinger und Wolfgang Giegler zeichnen für die kuratorische Betreuung und Vernetzung verantwortlich.
Fermenting Futures wird vom österreichischen Bundesministerium für Digitales und Wirtschaft (bmwd), dem österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit), der Steirischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft SFG, der Standortagentur Tirol, dem Land Niederösterreich und der Wirtschaftsagentur Wien im Rahmen des COMET-Förderprogramms der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützt.
Die Nutzung des begleitenden Filmmaterials erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien.
Make Do and Mend
Anna Dumitriu, 2017
Make Do and Mend ist anlässlich des 75. Jahrestages der ersten Anwendung von Penicillin bei einem menschlichen Patienten (1941) entstanden. Kernstück ist ein umgeändertes Damenkostüm aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, das mit dem Logo CC41 („Controlled Commodity 1941“) des britischen Handelsministeriums versehen ist.
Die Löcher im Kostüm sind mit Seide geflickt, die mit rosa eingefärbten Escherichia-coli-Bakterien besiedelt wurde. Die Färbung ist durch die Züchtung der Bakterien auf farbstoffhaltigem Agar entstanden. In ihrem Genom wurde zudem das Gen entfernt, das für eine Resistenz gegen Ampicillin, einem Antibiotikum aus der Gruppe der Penicilline, verantwortlich ist. Die Fehlstellen wurden anschließend mit einem DNA-Fragment ‚geflickt‘, in dem der im Zweiten Weltkrieg propagierte britische Slogan „Make Do and Mend“ kodiert ist.
Die Künstlerin versetzt die Bakterien durch die Genom-Editierung in eine Ära zurück, in der es noch keine Antibiotika gab. So regt die Arbeit zur Reflexion über das globale Problem der Antibiotikaresistenzen an und fragt nach unserem Umgang mit biotechnologischen Fortschritten.
Ausführliche Informationen zur Werkgruppe Make Do and Mend.
Make Do and Mend wurde in Zusammenarbeit mit Dr. Sarah Goldberg und Dr. Roee Amit, The Synthetic Biology Laboratory for the Decipherment of Genetic Codes, Technion (Israel), entwickelt. Zusätzliche Hilfe und Beratung kamen von Dr. Heather Macklyne, University of Sussex (UK), Dr. John Paul, Kevin Cole und Dr. Nicola Fawcett, Modernising Medical Microbiology (UK).
Make Do and Mend wurde im Rahmen des Projekts FEAT/Future Emerging Art and Technology entwickelt. FEAT ist eine Initiative der eutema GmbH (AT), Stichting Waag Society (NL) und youris.com (BE). FEAT wurde durch das von der EU geförderte Programm FET Open finanziert. Es hat Mittel aus dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 erhalten.
Die Nutzung des Begleitmaterials erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Annick Bureaud, Leonardo/Olats (Podcast) sowie der eutema GmbH (Video).
Foto: Anna Dumitriu und Alex May
Podcast:
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Bacteria as an Art Medium – Art Science. Conversation between Anna Dumitriu and Annick Bureaud, 2016, 21:01
Filmbeitrag:
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Anna Dumitriu explains the MRG GRammar Approach to how Genes communicate among them, 2017, 1:31
Foto: Anna Dumitriu und Alex May
Filmbeiträge:
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Biotechnology from the Blue Flower: The Unnatural, that too is Natural, 1:29:32
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H2020 CHIC Project. Explainer, 2020, 3:07
Biotechnology from the Blue Flower
Anna Dumitriu und Alex May, 2022
Biotechnology from the Blue Flower erforscht die Kulturgeschichte und Morphologie der Zichorie (Wegwarte) und untersucht, wie neue Methoden zur Pflanzenzüchtung genutzt werden können, um Gesundheit und Ernährung zu verbessern.
Die Zichorie inspirierte die Idee der Blauen Blume in der deutschen Romantik und wurde zu einem zentralen Symbol dieser Bewegung. Auch Goethes Konzept der Urpflanze und seine Abhandlung zur Metamorphose der Pflanzen kann mit ihr verbunden werden.
Die Romantik war eine Reaktion auf die industrielle Revolution und brachte Natur und Emotion höchste Wertschätzung entgegen. Heute befinden wir uns in einer biotechnologischen Revolution, und wieder wird die blaue Blume zu einem wichtigen Symbol. Diesmal steht sie an der komplexen Schnittstelle von Natur und Technologie. Hier wird die Frage verhandelt, welche Formen der synthetischen Biologie in Zukunft akzeptabel sein könnten und wie ‚Natur‘ und ‚natürlich‘ zukünftig definiert werden.
Ausführliche Informationen zur Werkgruppe Biotechnology from the Blue Flower.
Biotechnology from the Blue Flower ist im Rahmen des ASN-AIR-Programms 2018–2020 in den CHIC-Wissenschaftslabors entstanden. Der Auftrag für die künstlerische Residenz wurde von Art Science Node ASN/ASSF vergeben. ASN/ASSF ist ein Partner des CHIC-Konsortiums. CHIC ist ein Forschungs- und Innovationsprojekt, das durch das EU-Förderprogramm Horizon 2020 unterstützt wird.
Die Nutzung des begleitenden Filmmaterials erfolgt mit freundlicher Genehmigung des CHIC-Konsortiums.
Virtuelle Tour durch die Ausstellung
Mit der 3D 360Grad-Plattform Kuula jederzeit einen Rundgang durch die Ausstellung machen.
Starten Sie die Tour entweder, indem Sie unten klicken oder rufen Sie die Wunderkammer-BioArt-Tour auf der Kuula-Webseite auf.
Mit der App Actionbound lassen sich die Exponate der Ausstellung und ihre Hintergründe in einer kleinen Tour digital spielerisch erkunden.
Um den Bound spielen zu können, muss die kostenfreie Actionbound-App heruntergeladen werden. Die aktuelle Version steht hier zum Download bereit:
https://de.actionbound.com/download/
Zum Start des Bounds bitte den QR-Code mit der Actionbound-App scannen.
Der Bound heißt ‚Kunst mit der Genschere‘.
Bound-Page:
https://actionbound.com/bound/WunderkammerBioArtKunsthausWiesbadenAnnaDumitriuAlexMay
Rahmenprogramm
Mi, 6.4.2022, 18 Uhr
Eröffnung
Begrüßung
Helga Tomaschky-Fritz
Stadträtin
Karin Wolff
Geschäftsführerin Kulturfonds Frankfurt RheinMain
Gespräch
Anna Dumitriu und Alex May, Künstler/innen
Do, 7.4.2022, 11 Uhr
Talk & Tour (engl.)
Coffee morning with Anna Dumitriu and Alex May
Sa, 9.4.2022, 19 – 0 Uhr
20. Kurze Nacht der Galerien und Museen
19 – 21 Uhr Die Kuratorinnen Prof. Dr. Viola Hildebrand-Schat und Heike Sütter sind anwesend.
Foodtruck Tillys Tante
Do, 28.4.2022, 18 Uhr
Gentechnologie – Heilsbringer oder Teufelszeug?
Gespräch mit Dr. Martin Fedler-Raupp, Dekan Ev. Kirche Kronberg und PD Dr. habil. Alexander Nawar, Ökumenereferent des Bistums Mainz
Im Rahmen der Woche der Stille
Di, 3.5.22, 19 Uhr
Philosophischer Salon No. 14 zu Gast im Kunsthaus
Epigenetik – Revolution der Evolution?
Leon Joskowitz, Philosoph, Ethiklehrer und Gärtner spricht mit Bernhard Kegel, Biologe und Autor, über Epigenetik.
In Kooperation mit der Kulturabteilung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Mi, 11.5.2022, 18 Uhr
Art, Design & Science – Forschen, Studieren und Lehren zwischen den Disziplinen
Talk mit Julia Ihls, Leiterin BioDesignLab, HfG Karlsruhe, Valentin Brück, Wiss. Mitarbeiter Institut für Materialdesign (IMD), HfG Offenbach und Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Fr, 13.5.2022 und Fr, 10.6.2022, 12.30 Uhr
Mittag mit Kunst
Lunch-Impuls-Talk mit Katarina Haage, Studierende Kunstgeschichte, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Do, 9.6.2022, 18 Uhr
Mikroben! Museen! Versöhnung?
Dialogführung mit Tizian Holzbach, Student der Curatorial Studies, Goethe-Universität und Städelschule Frankfurt a. M., und Esther Gardei, Geschäftsführerin Versöhnungsforschung (BZV) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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Am Donnerstag, 9. Juni 2022, um 18 Uhr lädt das Kulturamt in das Kunsthaus, Schulberg 10, zu der Dialogführung „Mikroben! Museen! Versöhnung?“ mit Tizian Holzbach, Student der Curatorial Studies der Goethe-Universität und Städelschule, und Esther Gardei, Geschäftsführerin des Zentrums für Versöhnungsforschung (BZV) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, ein.
Mikroorganismen werden im Ausstellungsbetrieb meist als Gefahr für die Kunst angesehen und als „Feind“ bekämpft. In der Dialogführung werden Tizian Holzbach und Esther Gardei gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern der Frage nachgehen, ob die Ausstellung Wunderkammer BioArt. Arbeiten von Anna Dumitriu und Alex May dieses Verhältnis von Ausstellungen zu nichtmenschlichen Akteuren verändert. Was kann man von der Versöhnung zwischen Menschen auf die Versöhnungsprozesse zwischen Mensch und Mikroorganismus übertragen und wo muss über bestehende Denkmodelle hinausgedacht werden? Alle Interessierten sind eingeladen zum Mitdiskutieren. Der Eintritt ist frei.
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Di, 14.6.22, 18 Uhr
Blaue Blume, Urpflanze, Waldeinsamkeit: Alte und neue Perspektiven aus der Wissenschaft
Salongespräch mit JProf. Dr. Frederike Middelhoff, Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung, Goethe-Universität Frankfurt a. M., und Prof. Dr. em. Joachim W. Kadereit, Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
So, 15.5.2022, 11 – 18 Uhr
Internationaler Museumstag „Museum entdecken“
14 Uhr Kuratorinnen-Führung mit Prof. Dr. Viola Hildebrand-Schat und Heike Sütter
16 Uhr Kunst und Wissenschaft – eine Liebesbeziehung? Dialogführung mit Sophie Merz und Fabian Korner, Studierende Biologie und Philosophie, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Do, 19.5.2022 und Do, 2.6.2022, 18 Uhr
After Work Stop
Feierabend-Impuls-Talk mit Katarina Haage, Studentin Kunstgeschichte, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Glossar von A bis Z
Hier werden Hintergrundinformationen zu den in der Ausstellung gezeigten Arbeiten und angesprochenen Themen erläutert.
Die vollständigen Literaturangaben zu den Glossartexten finden Sie hier.
Kunsthaus Wiesbaden – Fotograf Patrick Baeuml
Kunsthaus Wiesbaden
Schulberg 10, 65183 Wiesbaden
Tel. 0611/319002, 0611/58027829 (Kunsthalle)
bildende.kunst@wiesbaden.de
www.wiesbaden.de/kunsthaus
Öffnungszeiten
Di – So 11 – 17 Uhr, Do 11 – 19 Uhr
Anmeldungen
Für alle Veranstaltungen bis zum vorhergehenden Tag, 12 Uhr per E-Mail
an: bildende.kunst@wiesbaden.de
EINTRITT FREI
Zur Ausstellung und zu den Veranstaltungen ist der Eintritt frei.
Es gelten die aktuellen Hygiene- und Abstandsregelungen des Landes Hessen.